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Zeitschrift VERNISSAGE 5 / 6
II (Kunst Kritik Kontakte)
Titel: ALTE LEIER - JUNGE
KUNST
aus dem Agis-Verlag im Jahre 1961
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Hajo Bleckert |
"HORRIDO,"
Der
eine oder andere Leser wird sich vielleicht erinnern. Im, Anschluß an
einen Aufsatz des Kunstschriftstellers John Anthony Thwaites in der
"Deutschen Zeitung" vom 3. Juli 1961 entwickelte sich in Gestalt
von Leserzuschriften eine Art Auseinandersetzung über die Rastermalerei.
Einer der durch Thwaites' "Kritik an der Kritik" unmittelbar und
mittelbar Begünstigten, nämlich Otto Piene, schlug in seiner am 19. Juli
veröffentlichten Leserzuschrift vor, man möge eine Gegenüberstellung
seiner künstlerischen Produktionen und der von Klaus Jürgen-Fischer und
Hajo Bleckert, die Thwaites in seinem Artikel kurzerhand künstlerisch
disqualifiziert hat, in Form einer gemeinsamen Ausstellung arrangieren.
Diese seine Anregung beschloß Piene mit dem zackig-lapidaren Ausruf:
"Horrido!" Man kann hier nur den Gegengruß entbieten: Waidmanns
Dank.Modeschullehrer und Künstler Piene lädt seinen Stutzen scharf; Ich
hätte mich weiland "in fotogener Maler-Pose" vor einem seiner
Bilder photographieren lassen und dieses Konterfei sei in einer
Photozeitschrift (Photo-Prisma, Jahrgang 1955, Seite 465) unter dem Titel
"Moderner Künstler" ganzseitig veröffentlicht worden. Er will
dieses Lichtbild anscheinend als Hinweis darauf bewertet wissen, daß ich
keine Bedenken zeige, mich mit fremden Federn zu schmücken. Nun, der
Schuß geht ins Leere oder er erweist sich weitgehend sogar als
Rohrkrepierer. Trotz Rolleiflex, Blende 2,8, 1/25 Sekunde und Agfa
Isopan-Ultra-Film läßt sich nämlich der dargestellte "Moderne
Künstler" für den Uneingeweihten keinesfalls als meine Person
identifizieren. Bei diesem rein zufälligen Schnappschuß, den der
Photograph Charles Wilp in dem 1955 noch von allen dreien gemeinsam
benutzten Atelier schoß, stand ich nämlich mit dem Rücken zur Linse.
Überdies erfuhr ich von dem Zustandekommen der Aufnahme erst nach ihrer
Veröffentlichung. Es kann demnach überhaupt keine Rede davon sein, daß
ich mich mit den Leinwanderzeugnissen Pienes irgendwie großtun wollte. Im
Gegenteil, ich empfinde die Verbindung meiner Person mit dem - soweit auf
der Photographie erkennbar - offenbar unvollendeten Bild als für mich
wenig vorteilhaft und rühmlich.Bei den in den Spalten der "Deutschen
Zeitung" ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten ging es eigentlich
um mehr als um diese Gelegenheitsphotographie. Der Kernpunkt dieses
Disputs lag vielmehr in der Frage, wer für sich in Anspruch nehmen kann,
die sogenannte Rastermalerei begründet zu haben. Im Grunde genommen ist
dieser Streit müßig, denn zunächst legte allein ich meine erste
Rastermalerei bildmäßig fest, wohingegen Piene vorgibt, zu jener Zeit
bereits mit einem Lichtpunktsystem experimentiert zu haben, das er später
als "Lichtballett" anbot. Die Aus-
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gangspunkte
sind also völlig verschieden; es liegt auf der Hand, daß es mit den
Ergebnissen nicht anders sein kann. Was die Priorität der Entdeckung und
Anwendung des Rastersystems anbelangt, so ist folgendes festzustellen:
Tatsache, ist, daß ich mich nachweislich bereits im Jahre 1956 mit
Rastermalerei beschäftigt habe, und zwar konsequent. Die Kenntnis Pienes
von meinen Rasterarbeiten zum Kriterium für die Priorität zu erheben
("Rasterbilder, die ich kenne, hat Bleckert erst Monate nach mir
gemalt"), geht ganz ohne Zweifel fehl. Wie er in seiner
Leserzuschrift eingesteht, hat er sich in den Jahren 1955 und 1956
lediglich an "Licht- und Buchstabenrastern" versucht, allerdings
nicht in dem (wenigstens 1955 noch) gemeinsamen Atelier, sondern
seltsamerweise in der Stille seines privaten Kämmerleins. Demgemäß
erkennt auch sein Weggenosse und Intimus Otto-Heinz Mack mit erstaunlicher
Offenheit an, daß er "in der Tat die ersten Rasterzeichnungen im
(nunmehr benachbarten) Atelier Bleckert sah." Streithelfer Mack
versagt es sich jedenfalls, öffentlich zu bezeugen, vor seiner
Beobachtung in meinem in demselben Hause gelegenen Atelier ähnlich oder
artverwandte Rasterarbeiten bei Piene vorgefunden zu haben. Tröstlich
immerhin, daß auch Piene nicht daran vorbeikommt, einzuräumen, daß
"winzige Graphit- und Kohlezeichnungen Bleckert wohl selbständig
gefunden hat." Fraglos steht es Piene schlecht an, den Katalog ZERO 3
zu seinem Zeugen anzurufen. Man muß wissen, daß laut Impressum Piene und
Mack die alleinigen Herausgeber und Redakteure dieser rund 300 Seiten
starken, bebilderten Schrift sind. Wohl kaum jemand verdenkt ihnen die
menschliche Schwäche, daß sie es auch nicht vergaßen, sich hierbei ein
Denkmal zu setzen, und zwar im Umfang von mehr als 70 Seiten, was einem
Gesamtanteil von ca. 25% entspricht. Wenn man aber schon Richter in
eigener Sache ist, sollte man wenigstens die Zurückhaltung besitzen, die
publizierte Selbsteinschätzung nicht auch noch als kritische Instanz oder
Beweismittel zu bemühen. Sicher ist, daß Piene und ich auf der
Ausstellung "Das rote Bild" im Frühjahr 1958 erstmals mit
Rasterbildern an die Öffentlichkeit getreten sind. Augenscheinlich sah er
aber diesen bildlichen Beitrag zu jener Ausstellung selbst nur als eine
Art Intermezzo an, denn in der Folgezeit stellte er das Lichtpunktsystem
gewissermaßen als Rückkehr zu dem Ausgangspunkt seiner lichtvollen
Experimente wieder stark in den Vordergrund. So verkündet er auch
gegenwärtig noch mit nahezu selbstverzückt-euphorischer Schwärmerei in
dem Anfang Juli dieses Jahres erschienenen ZERO- 3: ,Ich habe schon meine
12 Scheinwerfer, sie gehören mir. Sie sind aber erst der Anfang; denn ich
möchte 12 X 12 und mehr haben, und sie sollen so stark sein, daß sie bis
zum Mond leuchten." Letztlich ist es doch so, daß eine ideelle
Gestaltungsform wie jeder andere Ideengehalt zu seiner Zeit greifbar wird,
der Gedanke liegt gleichsam in der Luft. Wer die Vollstrecker dieser neuen
Vorstellungen sind, bleibt eigentlich irrelevant. Entscheidend ist
vielmehr, in wieweit die Verwirklichung der Idee auch qualitätsmäßig
dem Anspruch der ideellen gerecht wird. Für mich ist es ohne jedes Risiko
in einer von Piene vorgeschlagenen gemeinsamen Ausstellung teilzunehmen.
Ohnehin werden wir auf der, am 10. Oktober in Trier beginnenden
Ausstellung "Avantgarde 1961 , bei der ich nicht nur mit winzigen
Graphit- und Kohlezeichnungen aufwarten werde, schon aufeinander treffen.
Insofern erhält er die in der "Deutschen Zeitung so eilfertig
geforderte Satisfaktion. Nicht unbegründet ist hierbei die Annahme, daß
Pienes Sekundant wieder der Kunstschriftsteller Thwaites sein wird. Jedoch
bleibt abzuwarten, ob man sich bei diesem Waffengang auf schwere
(publizistische) Säbel einigen wird. Horrido!
Hajo Bleckert
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